Samstag, 2. August 2008

Musikalität

Ich hatte zum Thema bereits etwas geschrieben: entscheidend am musikalischen Verhalten ist die Ich-Beteiligung (vgl. Ribke, 1995). Diese Aussage relativiert meines Erachtens den Begriff von Musikalität, wonach dieselbe eine besondere, messbare Begabung ist.

Meyers Lexikon online führt zum Begriff aus, "Zu den wesentlichen Komponenten der Musikalität zählen das Erkennen von Tonhöhen-, Tondauer- und Tonstärkeunterschieden, das Auffassen und Behalten von Melodien, Rhythmen, Akkorden usw. sowie für die Musikausübung die Fähigkeit der musikalischen Gestaltung und der Geschicklichkeit im Umgang mit einem Musikinstrument."

Ganz sicher zählen wir zum musikalischen Verhalten, Tonhöhen und Tondauern und Tonstärkeunterschiede wahrzunehmen, sprich: Musikhören. Aber ist das Behalten von Melodien und Rhythmen und Akkorden eine musikalische Leistung? Zunächst einmal leistet unser Gedächtnis das und prinzipiell ist jeder Mensch in der Lage, sich Melodien etc. zu behalten, weil jeder seine Gedächtnisleistung darauf hin trainieren kann. Bei der Musikausübung zähle ich den geschicklichen Umgang mit dem Instrument zu einer motorischen Leistung, die kein musikalisches Verhalten voraussetzt. Allein die musikalische Gestaltung wiederum beruht auf musikalischem Verhalten. Wie ein Mensch sich musikalisch verhält, ist seinem Wollen unterworfen. Derjenige, der musikalische Gestaltung wahrnimmt als Musikhörer, ist nicht weniger musikalisch als derjenige, der musikalisch gestaltet, indem er Töne produziert. Musikhören ist letztendlich auch musikalisches Gestalten. Wobei: wir hören Gestalten in dem was wir hören, dass uns zu dem Schluss kommen lässt, das wäre Musik. Wir haben gelernt, Mozart zu hören und Haydn und Thelonius Monk und Bach. Als ich mit 32 meine erste Wagner Oper "Der fliegende Holländer" hörte (und sah), erkannte ich die Musik gleich wieder - ich hatte ähnliches bei unzähligen Filmen gehört. Das Zirpen der Grillen nehme ich nicht als Musik wahr, sondern als bloßes Hintergrundgeräusch. Ich kann da absolut nichts raushören, was es mir erleichtern würde, es als Musik aufzunehmen. Anderen Menschen kann es mit diesem Zirpen durchaus anders gehen und meiner Oma geht es mit "Überjam" von John Scofield so wie mir mit dem Zirpen der Grillen.

Ich will darauf hinaus, dass Musikalität eine allgemeine Begabung ist. Sie ist Menschen grundsätzlich eigen. Wo ein Mensch sich mit dieser Gabe hinbewegt, ist abhängig von seinem Wollen. Nicht Musikalität lässt sich messen. Feststellen lassen sich Unterschiede, wohin Menschen ihre Aufmerksamkeit richten, auf Rhythmen oder Melodien oder beides, auf akkustische Ereignisse und Klangeigenschaften, aufs Hören, aufs Klangerzeugen, manche setzen gehörte Musik sofort in Bewegung um, manche singen sofort mit, Menschen entwickeln Vorlieben für bestimmte Instrumente, Menschen verlagern den Ausdruck ihrer Selbst in die Musik, andere aufs Schreiben, viele nutzen beide Möglichkeiten.

Musikalität ist m.E. nicht mehr und nicht weniger als die Fähigkeit des Menschen, einen Bezug zu Musik herzustellen. Theoretisch ist der unmusikalisch, der diesen Bezug aufgrund fehlender Wahrnehmungsmöglichkeit nicht herzustellen vermag.

Ribke führt den Leser in dem Teil ihres Buches, der die anthropologische Grundlegung ihres Konzepts einer Elementaren Musikpädagogik ausmacht, an die Wurzeln der allgemeinen musikalischen Begabung. An früheste Sinneseindrücke, elementare Lebenserfahrungen, kann der Mensch in der Musik/mit Musik anknüpfen. Und weil er bestrebt ist, eine Brücke zu jenen frühen Eindrücken zu bauen, sucht er unter anderem die Musik auf. Ribke zählt drei Wahrnehmungsmöglichkeiten des Menschen zu den musikalischen Kernsinnen: den auditiven Sinn, den kinästhetischen Sinn und die taktile und haptische Sensibilität bzw. cutanen Sinn. Für diese drei Sinne, über die der Mensch eine Verbundenheit zur Musik herstellt, werden schon in der Embryonalentwicklung die sensorischen Grundmuster gelegt. Sensorische Grundmusster werden als grundlegende Wahrnehmungsmuster noch vor der Ausreifung des zentralen Nervensystems geprägt. Sie stehen in engem Zusammenhang mit den pränatalen Milieubedingungen. Grundlegende Wahrnehmungsmuster/sensorische Grundmuster haben ihre Bedeutung für den Menschen als Matrizen (Stanislav Grof), in denen die Erlebnisverarbeitung und Welterfahrung für ein ganzes Menschenleben vorgeprägt sind. Der Grund, dass Menschen bewusst oder unbewusst Musik aufsuchen, ist in den vorgeburtlich ausgebildeten Urmatrizen (Ribke) zu finden.

Die Definition aus Meyers Lexikon online zählt Möglichkeiten auf, die in Zusammenhang mit musikalischem Verhalten stehen können. Eine Verbundenheit zu einer Musik herzustellen, was Musikalität m.E. ausmacht, braucht es aber keine Kenntnisse über ein Bezugssystem von Tönen, keine Merkfähigkeit für Melodien, keine Spezialkenntnisse auf einem Instrument.

wird noch fortgesetzt

Literatur: Ribke, Juliane (1995) Elementare Musikpädagogik. Persönlichkeitsbildung als musikerzieherisches Konzept. Regensburg

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