Donnerstag, 14. August 2008

Nachtwanderung

Es war besonders gruselig. Wenn ich solchen Satz lese, gruselt mich das nachfolgende nicht mehr. Anfang August hätte ich hier schon davon schreiben sollen. Denn zu dieser Zeit war es, als wir die Glühwürmchen gesehen haben. Seitdem hat mich niemand mehr dazu gebracht, nächtens in den Wald zu gehen. Er liegt direkt neben meiner Haustür und sieht harmlos aus. Große Tiere lassen sich, wenn ausreichend Licht wäre zu sehen, nicht blicken und die Spuren ihres geheimen Lebens verblassen über den Tag. Eidechsen, Blindschleichen und Ringelnattern entdecke ich so unverhofft, dass ich meinen Augen nicht traue. Ihre Erscheinung ist flüchtig und ihre Lebensform mir fremd. Wesen ohne Fell, mit anderen Augen. Die Vögel höre ich über Tag. Der Specht klopft einfach so, als wäre ich nicht da. Ein winziger Vogel zetert, weil ich in unmittelbarer Nähe seines Nests stehengeblieben bin. Dabei habe ich sein Nest noch nicht einmal in der Nähe vermutet! Eine Wanderung bei Nacht durch jenen harmlosen Wald, wenn die Vögel endlich leise sind, dürfte ein Spaziergang werden. Die eigenen Kinder ein wenig an die Hand nehmen und herumführen: So ist das im Wald, wenn es dunkel ist. Nichts zu sehen. Die Kinder rücken mir ganz schön auf die Pelle: Habt ihr Angst? Ich bin froh, sie bei mir zu haben. Alleine wäre es mir hier zu duster. So kann ich furchtlos lauschen. Verräterisches Knacken rechterhand. Darüber ein einsamer Vogel, der ruft. Er flötet aber nicht so vor sich hin, sondern eher als wolle er eine Mitteilung machen. Dass wir im Wald unterwegs sind. Unsere eigenen Schritte sind viel zu laut, die Kleidung raschelt. Alle wilden Tiere werden einen Bogen um uns machen, schließlich haben sie Ohren. Ein neues Geräusch erregt Alarmbereitschaft bei den Kindern. Ein Schuss hätte kaum anders geklungen. Ich bleibe dabei, dass es nur der Donner eines entfernten Gewitters war. Die Entfernung lässt sich leicht feststellen. Jedoch ist die Lichterscheinung beeindruckend und es braucht viel guten Zuredens, die Umkehrwilligen zu überzeugen, dass wir uns nicht mitten im Gewitter befinden, wo doch das Licht für einen verblüffenden Augenblick den halben Wald erleuchtet hat mit dem gespenstischen Licht einer Energiesparlampe, die gerade erst eingeschaltet worden ist. Auch auf mich machte das Gewitterleuchten Effekt. Es ist wie aus einem Krimi importiert. Jeder in unserer Familie liebt es, Filme zu sehen, und jedem fiel sicherlich gerade eine passende Szene ein. Die Wiederholung vertiefte das Erlebnis. Allerdings würde das geflüsterte Zählen die wilden Tiere nur noch mehr abschrecken. Meine Augen wanderten in der Dunkelheit in dem Versuch, nicht zu blinzeln und auf diese Weise die Lichtblitze abzupassen. Vielleicht entdeckte ich in den lichten Momenten doch noch die Augen oder die schwarze Silhuette eines Fuchses, eines Wildschweins oder eines einfachen Rehs. Es war mir schlicht nicht möglich. Die Zahlenreihen wurden zunehmend kürzer, aber bis zu der Lichtung, auf der wir ganz sicher eine Anzahl Tiere beim Äsen überraschen würden, war es ja nicht mehr weit. Nur noch eine Biegung, hinter der eine weitere wartete. In der Nacht entdeckte ich auch die unbekannten Längen des Weges. Auf der Wiese, die das Ziel unserer nächtlichen Wanderung darstellte, waren tatsächlich Besucher. Nachtleben mit Musik. Ich immitierte ein Gespenst, so froh war ich, keinem begegnet zu sein. Ein Kind stieß Wolfsgeheul aus, von dem ich überrascht war, dass solches in ihm steckte. Mit Schadenfreude registrierte ich, wie von der Mitte der Wiese ein Licht den Waldrand absuchte. Wir hatten ihnen Angst gemacht. Und sie hatten unsere Tiere verscheucht mit ihrer Musik. Erleichtert traten wir unter Blitzlichtgewitter den Rückweg an. Noch war der Weg dunkel, aber bald würden wir das orange Laternenlicht vorm Waldeingang sehen. Rechtzeitig, bevor der Ausgang auftauchte, fiel mir ein, dass eine Überraschung im Dunkeln noch auf uns wartete. Als Kind hatte ich Glühwürmchen mit grünlichem Licht fliegen sehen. Heute glichen die beiden Lichter, die wir an zwei verschiedenen Stellen am Wegesrand auf dem Boden entdeckten, eher einer LED-Leuchte. LED gab es damals noch nicht. Das Licht ging an, leuchtete eine Weile und ging wieder aus. Eine Weile blickten wir ins Schwarze. Kein Zeichen von irgendwas, geschweige denn einem Tier mit Leuchtkraft. Dann wieder der winzige Lichtpunkt, der so faszinierte, weil er aussah, als wäre er mit elektrischem Strom und eben besagter Leuchte erzeugt. Die Lichtquelle unterdessen blieb unsichtbar. Die Gewitterblitze vermochten mir den Insektenkörper leider nicht zu zeigen. Das Zählen der Zeit wurde spannender. Der Wind schwieg, während Blitz und Donner immer näher zusammenrückten. So blieb uns der Grusel über die Waldgrenze hinaus erhalten, zumal zu jener Stunde auch Fledermäuse flogen. Die sieht man jenseits des Waldes, wo sie sich mit ihren typisch geschwungenen Flügelhäuten schwarz gegen den Himmel abzeichnen, viel besser.

1 Kommentar:

Elisa Mari hat gesagt…

Liebe Ruth Sumpffuss,

gerne reiche ich Deinem schönen Blog einen Blog Award weiter.

Hier und hier kannst Du nachlesen, was es damit auf sich hat.

Herzliche Grüße
ElisaMari