Mittwoch, 10. Dezember 2008

Ernste Musik

Es ist schon ein Graus, wenn Menschen in die Oper getrieben werden wie Vieh. Da wundert es nicht, wenn sie während der Aufführung muh sagen oder wie die Schafe blöken. So drückt das Kreuz der Schulpflicht auch den, der aus eigener Lust und Freude sich in die Oper begeben hat. Die feineren Töne der Pamina dringen nicht mehr bis zu meiner Loge, auch nicht die besonders tiefen des Sarastro. Eine Geräuschkulisse vom Parkett und den billigeren Plätzen in den Rängen dämpft den Zauber der Musik. Und die Viehtreiber springen immer wieder von ihren Sitzen und sprechen bändigend auf einzelne Schulpflichtige ein. Wie uns diese Pflicht doch alle entwürdigt. Sänger und Schauspieler und Orchester müssen tun, als wären sie vom Publikum ungestört, und geben eine Vorstellung ab, die ich gerne weiterempfehle. Mich macht es ganz betroffen, dass Menschen eine Musik, der ich mich selbst mit Freude hingebe, aufgezwungen wird, nur damit sie hinterher davon brechen können. Ich fühle mich nicht anders als im DDR-Staat mit lauter erreichten Zielen: die Deutsche Oper hat ihr Geld; irgendein Säckel der Staatskasse hat sich erleichtert und hinter der roten Zahl den Stempel Bildungsförderung verdient; die Lehrer halten sich zugute, an diesem Tag keinen Frontalunterricht gehalten zu haben und können sich die neuen Synapsen in den Hirnen ihrer Schüler lebhaft vorstellen; der Schüler, später auch: Mensch, hat klassische Musik (und dann auch noch die des Genies Mozarts) am eigenen Leib erfahren - überall darf ein Häkchen gemacht werden. Was da abgeht in der Gesellschaft, mag man sich mal aus der Sicht eines Kindes klarmachen, das freiwillig in der Vorstellung sitzt, ihr von Anfang bis Ende lauscht und von seiner freien Schule extra frei bekommen hat, damit es mit drei Freundinnen die Oper besuchen kann. Der Schulpflicht entkommst du nicht. Auch nicht an einer freien Schule. Auch nicht, wenn du schulfrei hast. Dann findest du nämlich entweder auf dem Spielplatz keine Kinder zum mitspielen oder du triffst die verdonnerten Kinder in der Zauberflöte wieder. Zu Hilfe, zu Hilfe, sonst bin ich verloren. Die drei Damen helfen dir da auch nicht weiter. Das Opernhaus spuckt sein Publikum am Ende erleichtert wieder aus.

Das Märchen von der Zauberflöte wird nur noch drei Male und nicht mehr in diesem Jahr gegeben. Außerdem läuft an der Deutschen Oper Berlin auch Die Zauberflöte als "große Oper in zwei Aufzügen".

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