Mittwoch, 11. März 2009

Was ist Erziehung?

Eine weitere These

siehe dazu auch den Beitrag Was ist Erziehung. Eine These.

Erziehung ist eine Haltung.

Die Idee, jemanden zu erziehen, geht zusammen mit jener Haltung, die ein_e Herrscher_in der/dem Unterdrückten, Beherrschten gegenüber einnimmt. Die Erziehungshaltung ergibt sich aus der Herrschaftshaltung/aus dem Herrschaftsanspruch.

Astrid Albrecht-Heide, Professorin am Institut für Erziehungswissenschaft der TU Berlin, verdeutlicht den Herrschaftsblick zunächst am ausbeuterischen Umgang von uns Menschen mit der Natur. Sie sagt, weiße Erziehungswissenschaft basiere auf jenem Naturverständnis, wonach die Natur bloßer Liefarant für Rohstoffe ist. "Die Verrohstofflichung erzwingen 'wir' durch Distanzierung, Entmoralisierung, Entsakralisierung und Dynamisierung." (Albrecht-Heide, 2006, S.447)

Entmoralisierung
bedeutet mit Blick auf die Natur, ihr keinen anderen Wert mehr zuzuordnen als den, den ich durch meine verändernde Hinwendung zu ihr erschaffe. Ist es nicht auch bei Kindern so, dass die Art der Hinwendung, die von Eltern gesellschaftlich erwartet wird, eine gestaltende, machende, in die Kinder hineinwirkende ist. Entsakralisierung ist die Entzauberung und Profanisierung der Natur. Nach meinem Verständnis führt die bloße Entschlüsselung von Naturphänomenen mit Hilfe beispielsweise der Physik und der Chemie nicht zwangsläufig zu einer Profanisierung. Die tritt m. E. erst ein, wenn ich die erschlossenen Erkenntnisse zur allgemeingültigen Wahrheit erkläre und sie allein der Rechtfertigung meines Zugriffs dienen. (Anm. 2) So werden Rhythmen des Säuglings bei der Nahrungsaufnahme, beim Schlafen und Wachen etc. erforscht, um Fütterungszeiten in der Ratgeberliteratur angeben und Schlafprogramme entwickeln zu können, die in die hiesigen gesellschaftlichen Gegebenheiten hineinpassen. Der Zusatz, jedes Kind sei natürlich ein Individuum und könne daher aus dem Raster fallen, verkommt zur Floskel. Dynamisierung, erläutert Albrecht-Heide, ist dann die Zugriffstendenz. Sie verbindet sich "[...] mit der Behauptung, dass 'unsere' Zugriffe zur Veredelung, Verbesserung, kurz Kulturalisierung führen." (Albrecht-Heide, 2006, S.447)

Distanzierung ist die Voraussetzung für 'unsere' Herrschaft. Der Abstand, den ich zwischen mich und mein Gegenüber bringe, indem ich den objektiven Blick behaupte.

Martin Bubers Dialogisches Prinzip leuchtet mir bis dahin am ehesten ein, um Distanz und All-ein-sein zu unterscheiden. Buber sagt, ich könne zweierlei Haltung zur Welt einnehmen. Er fasst die Haltungen in die Grundwörter Ich-Es und Ich-Du. Sage ich Du, dann spreche ich das Ich des Grundwortes Ich-Du mit. Sage ich Es, dann spreche ich das Ich des Grundwortes Ich-Es. Ich kann auch Du sagen und Es meinen. "Die Welt als Erfahrung gehört dem Grundwort Ich-Es zu. Das Grundwort Ich-Du stiftet Beziehung." (Buber, 1962, S.10) Das eine Grundwort (Ich-Du) steht für mich für mein Sein in der Welt, das andere für Distanz.

Wenn ich mich distanziere
, bedeutet das im buberschen Weltbild, wie ich es verstehe, ich trete aus der Ich-Du-Beziehung heraus. Was vorher Du in meiner Ansprache war, wird zum Es des buberschen Grundwortes Ich-Es. (Buber, 1962, S. 7-8) Buber vertritt, was die Beziehung des Lehrers/der Lehrerin zu seinem/ihrem Schüler//seiner/ihrer Schülerin betrifft, die Ansicht, der Lehrer oder die Lehrerin müsse zwar zwar den Schüler oder die Schülerin

[...] als diese bestimmte Person in ihrer Potentialität und ihrer Aktualität meinen, genauer, er muss ihn nicht als eine bloße Summe von Eigenschaften, Strebungen und Hemmungen kennen, er muss seiner als einer Ganzheit inne werden und ihn in seiner Ganzheit bejahen.

Er/Sie müsse

[...] damit seine Einwirkung auf ihn eine einheitlich sinnvolle sei, [...] diese Situation jeweils nicht bloß von seinem eigenen Ende aus, sondern auch von dem seines Gegenübers aus in all ihren Momenten erleben; er muss die Art von Realisation üben, die ich Umfassung nenne.

Aber die Schülerin und der Schüler ihrerseits dürften ihre Lehrkraft nicht als diese bestimmte Person meinen und bejahen.

[...] so könnte doch die besondere erzieherische Beziehung nicht Bestand haben, wenn der Zögling seinerseits die Umfassung übte, also den Anteil des Erziehers an der gemeinsamen Situation erlebte. (Buber, S.131) (Anmerkung 1)

Bubers Erklärung widerspricht Albrecht-Heide zunächst. Bei Buber dürfen Lehrer und Lehrerin in unmittelbarer Beziehung zum Schüler/zur Schülerin stehen, Schüler und Schülerin zu Lehrer und Lehrerin aber nicht.

Ob das Ich-Du-Verhältnis nun endet oder aber den ganz andersartigen Charakter einer Freundschaft annimmt, es erweist sich, dass der spezifisch erzieherischen Beziehung als solcher die volle Mutualität versagt ist. (ebenda)

Und darin stimmen Buber und Albrecht-Heide wieder überein, dass es einen Abstand zwischen Erzieher_in und Zögling gibt. Auch bei Buber muss die Distanzierung letztendlich vom Erzieher/von der Erziehrin ausgehen, denn naturgemäß hat nur dieser/diese ein Interesse am Bestand der erzieherischen Beziehung. Die Haltung von Lehrer und Lehrerin ist von Bedeutung, denn welches Interesse sollte der oder die zum Zögling erkorene haben, sein/ihr Gegenüber als Objekt zu sehen, wenn das Gegenüber keinen Anlass dazu gibt?

(1) "Es gibt jedoch auch manches Ich-Du-Verhältnis, das sich seiner Art nach nicht zur vollen Mutualität entfalten darf, wenn es in dieser seiner Art dauern soll. Als solches Verhältnis habe ich an anderem Ort das des echten Erziehers zu seinem Zögling charakterisiert." (Buber 1962, S.130)

(2) "So entsteht in Europa die paradoxe Situation, dass die historische Neuheit, Kindheit als eigenständige Phase zu begreifen, mit der Hinwendung zugleich als enteignender Übergriff erfolgt." (Albrecht-Heide, S.449)

Literatur:
Albrecht-Heide, Astrid (2006) Weißsein und Erziehungswissenschaft. In:
hrsg. v. Maureen Maisha Eggers, Grada Kilomba, Peggy Piesche, Susan Arndt (Hg.) (2006) Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland. Unrast Verlag.

Buber, Martin (1962) Das Dialogische Prinzip. Gerlingen 7. Auflage 1994

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