Sonntag, 30. November 2008

(3) Kritik durch Martin Buber

Dieser Beitrag knüpft an (2) Jacobys Konzept einer Musikerziehung

Kritisiert wurde die Rede von den „schöpferischen Kräften im Kind“ 1925 von Martin Buber. Buber hielt den Eröffnungsvortrag auf der III. Internationalen Pädagogischen Konferenz in Heidelberg, worin er von den schöpferischen Kräften sagt, sie seien der Boden, das Fundament menschlicher Existenz seien sie nicht. „Nicht im freien Selbstvollzug der Kräfte, sondern in deren ‚Verbundenheit’ konstituiere sich das Menschliche.“ (Schaller 1995, S.15)

„Zu allen Zeiten ist wohl geahnt worden, dass die gegenseitige Wesensbeziehung zwischen zwei Wesen eine Urchance des Seins bedeutet, und zwar eine, die dadurch in Erscheinung trat, dass es den Menschen gibt.“ schreibt Buber (Buber 1994, S.299). Jacoby ist so sehr daran interessiert, die negativen Wirkungen in der Beziehung zwischen Zögling und Erzieher vom Zögling fernzuhalten, dass er dabei meines Erachtens die Bedeutung der Beziehung zwischen Erwachsenem
und Kind verkennt. Jacoby hat erkannt, wie die Absicht, das Kind zu formen, die
Anlagen des Menschen verkümmern lassen bzw. an ihrer Entfaltung hindern kann. Den Menschen aber als Monade zu beschreiben und die „[...] ‚Potentialität’ des monadisch verstandenen Subjekts als [das] Fundament menschlicher Existenz und Lebensführung [...]“ (Schaller 1995, S.14) anzusehen, übersieht, dass der Mensch ein soziales, auf dialogische Kommunikation hin angelegtes Wesen ist. So ist auch die musikalische Äußerung nicht vom dialogischen Prinzip zu trennen. Sie ist sowohl Aktion als auch Reaktion, sowohl Ansprache als auch Antwort.

Literaturnachweis:
Buber, Martin (1994) Das dialogische Prinzip. Gerlingen.

Schaller, Felicitas (1995) Leibverfassung und Sinnlichkeit. Zur pädagogischen Begründung der Musikalischen Früherziehung. In: Sirker, Udo (Hg.) (1995) Impulse zur Musikpädagogik. Essen. S. 11-50.

(2) Jacobys Konzept einer Musikerziehung

Dieser Beitrag knüpft an Heinrich Jacoby - Die Existenz des Schöpferischen

Die Grundannahme, die Jacoby mit vielen Zeitgenossen teilt – 1925 fand in Heidelberg die III. internationale Pädagogische Konferenz genau zu diesem Thema, „Die Entfaltung der schöpferischen Kräfte im Kinde“, statt –, ist, dass im Menschen schöpferische Kräfte angelegt seien, und zwar alle zum Leben notwendigen. In diesen schöpferischen Kräften liege das ganze Potential des Menschen, das es zu entfalten gelte. Denn die menschliche Existenz baue auf
diesem Potential auf.

Jacoby schlussfolgert daraus für die Erziehung, dass sie alles daran setzen müsse, die Vorraussetzungen zu schaffen, die für eine ungehinderte Entfaltung jener schöpferischen Kräfte notwendig sind. Dies gelte auch für die Musikerziehung. Die Existenz des Schöpferischen in jedem Menschen bedeutet für Jacoby, dass jeder Mensch grundsätzlich dazu befähigt ist, sich musikalisch auszudrücken. Die sogenannte Unmusikalität, die vielen Menschen zugesprochen wird oder die sie sich selbst bescheinigen, gibt es in Wirklichkeit nicht.

Ich habe in den letzten acht Jahren mit etwa 700 Menschen verschiedener Altersstufen [...] gearbeitet [...] Obgleich sich von diesen etwa 80 Prozent zu den sogenannten Unmusikalischen gerechnet hatten, hat sich eine erfolgreiche Zusammenarbeit nur bei zweien als aussichtslos
herausgestellt, bei denen die Fähigkeit, hohe bzw. tiefe Töne überhaupt wahrzunehmen, durch organische Erkrankung des Gehörapparates gestört war. (Jacoby 1921, S.14)

Dass Menschen als „unmusikalisch“ erscheinen, führt Jacoby darauf zurück, dass man ihnen die Freiheit des Ausdrucks schon in der frühen Kindheit systematisch beschneidet. Jacoby kritisiert das repressive Erziehungskonzept seiner Zeit, das eine „[...] Verschüchterung und Unterdrückung des Ausdrucksbedürfnisses [...] in der Musik oft in noch höherem Maße als auf anderen Ausdrucksgebieten“ bewirke (Jacoby 1924, S.44). Die „[...] Gesellschaft züchtet den gehemmten Menschen als Typus.“ (ebenda) Die Ausdruckshemmung wirkt sich nach Jacobys
Meinung auf dem Gebiet der Musik nur deshalb so nachhaltig aus, weil keine Lebensnotwendigkeit zu musizieren besteht. Nun ist aber die Entfaltung musikalischer Fähigkeiten für Jacoby gleichbedeutend mit der Entfaltung der Persönlichkeit des Menschen oder leistet zumindest zur optimalen Entwicklung seiner Persönlichkeit einen bedeutenden Beitrag. An die (wiedergewonnene) Möglichkeit der musikalischen Äußerung knüpft Jacoby das Vertrauen eines Menschen zu seiner eigenen Äußerungsfähigkeit, die wiederum, so sie sich
entfalten kann, eine große Bedeutung für die Entwicklung des Selbstvertrauens hat.

Wenn wir uns gegenwärtig halten, dass Mangel an Selbstvertrauen vielleicht die häufigste Ursache dafür ist, dass jemand unmusikalisch oder sich dafür hält, so leuchtet ein, dass die Stärkung des Selbstvertrauens, die durch das Erlebnis des Sich-äußern-Könnens entsteht – während man sich bisher für stumm gehalten hat – für das allgemeine Verhalten sehr viel
bedeutet. (Jacoby 1921, S.16)

Stellt sich erst einmal das Problem, dass man es mit einem „musikalisch ‚Gehemmten’“ (Jacoby) zu tun hat, so ist das für Jacoby „[...] eine Frage psychischer wie musik-pädagogischer oder musik-psychologischer Therapie.“ (Jacoby 1921, S.16) Allgemein geht es in der musikalischen Erziehung für Jacoby darum, dem Kind Erfahrungs-Gelegenheiten (Jacoby) zu schaffen. Die
Einwirkung des Erziehers auf das Kind soll sich im Wesentlichen darauf beschränken, denn das oberste Gesetz in der musikpädagogischen Arbeit wie in der allgemeinen Erziehung ist nach Jacoby die Selbsttätigkeit des Menschen (vgl. Jacoby 1921, S.10-11). Die Erziehung, in der „[...] allein das in jedem Menschen latente Schöpferische angesprochen wird.“ (Jacoby 1921, S.10) bezeichnet Jacoby auch als „schöpferische Erziehung“ (ebenda).

Allerdings hat man in der Erziehung nicht danach zu fragen, ob die Äußerungen, die man erleichtern will, bedeutend oder unbedeutend, ob sie für irgendeinen anderen außer dem Sich-Äußernden von Wert sein werden! In der Erziehung hat man sich nicht von schwankenden subjektiven Werturteilen, von von außen kommenden Zwecksetzungen
abhängig zu machen, sondern allein die Voraussetzungen, unter denen die in allen Menschen vorhandenen schöpferischen Fähigkeiten zu möglichst unbehinderter Auswirkung kommen können, zu schaffen. (Jacoby 1921, S.16)

Erziehung – auch die musikalische – muss sich selbst beschränken, statt den Zögling zu beschränken, und zwar auf das Schaffen von Voraussetzungen für eine Entwicklung, statt dass sie auf die Entwicklung einwirken und gar in eine bestimmte Richtung lenken will. Mehr als einmal stellt Jacoby den Vergleich mit dem Erlernen der Muttersprache an. Um deutlich zu machen, was es für die musikalische Erziehung heißen könnte, sich nicht von äußeren Zwecken leiten zu lassen, mag solch ein Vergleich sehr hilfreich sein. So werde beim Spracherwerb
auch nicht Dichtung oder dramatische Rezitation als Ziel gesetzt. Mit Ton, Rhythmus, Linie und Farbe müsse ähnlich verfahren werden. „Es geht bei all dem um elementare, allgemein menschliche Ausdrucksgebiete, auf denen grundsätzlich jeder zu ähnlichen unmittelbaren und selbstverständlichen Äußerungen gelangen könnte wie etwa beim Gebrauch der Muttersprache [...]“ und „Auch bei der Musik müssen wir vermeiden, zuerst an Kunst oder Kunstwerk zu denken [...]“ (Jacoby 1921, S.12).

In seiner Rede über die „Grundlagen einer schöpferischen Musikerziehung“, die Jacoby 1921 in Berlin anlässlich der Kunsttagung des Bundes entschiedener Schulreformer hält, übt er herbe Kritik an der musikpädagogischen Praxis seiner Zeit. Gleich im ersten Satz wendet sich Jacoby gegen die „intellektualistischmechanistisch und wesentlich auf Reproduktion eingestellte Art des
Musikunterrichts“. (Jacoby 1921, S.10) An anderer Stelle hören wir, der Musikunterricht sei nichts anderes „[...] als mehr oder weniger geschickte Abrichtung [...]“ (Jacoby 1921, S.18) und habe für die allgemeine Menschenbildung keine Bedeutung. Damit eine schöpferische Erziehung
überhaupt wirksam werden könne, müsse sich, so Jacoby, die „Auffassung des Wesens der Musik und daraus folgend von den Aufgaben unseres Musiklebens“ (Jacoby 1921, S.11) von Grund auf ändern. Musik als Kunst und der Kunstbetrieb dürften nicht mehr im Vordergrund des Interesses stehen.

Im nächsten Beitrag folgt (3) Kritik durch Martin Buber

Literaturnachweis:

Jacoby, Heinrich (1921) Grundlagen einer schöpferischen Musikerziehung. Rede anlässlich der Kunsttagung des Bundes entschiedener Schulreformer in Berlin am 5. Mai 1921. In: Ludwig, Sophie (Hg.) (1984) Heinrich Jacoby. Jenseits von „Musikalisch“ und „Unmusikalisch“. Die Befreiung der schöpferischen Kräfte
dargestellt am Beispiele der Musik. Hamburg, S. 10-28.


Jacoby, Heinrich (1924) Jenseits von „Musikalisch“ und „Unmusikalisch“. Voraussetzungen und Grundlagen einer lebendigen Musikkultur. Mitgeteilt auf dem II. Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft in Berlin im Oktober 1924. In: Ludwig, Sophie (Hg.) (1984) Heinrich Jacoby. Jenseits von „Musikalisch“ und „Unmusikalisch“. Die Befreiung der schöpferischen Kräfte dargestellt am Beispiele der Musik. Hamburg, S. 29-74.

Heinrich Jacoby - Die Existenz des Schöpferischen

Dieser Artikel umfasst drei Blogeinträge.

Die Existenz des Schöpferischen im Kind wird zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht von Jacoby allein behauptet. Die Kunsterziehungsbewegung hatte die so genannte subjektivistische Potentialitätsanthropologie, der die Idee von den schöpferischen Kräften, von der Selbstmächtigkeit und der Autarkie des Individuums entstammt, in die Zeit der Reformpädagogik des 20. Jahrhunderts hinübergerettet. Jacoby hat, unbeirrt auf dieser anthropologischen Grundannahme aufbauend, seine Gedanken zum musikpädagogischen Umgang mit dem Menschen entwickelt. In seinen Reden auf verschiedenen Tagungen und
Kongressen, die uns schriftlich erhalten sind (Ludwig 1984), hat er seine pädagogische Position eindrücklich beschrieben und begründet. Ich referiere daraus einen kleinen Teil, der mir selbst bedeutsam erschien und vielleicht für die Leserschaft des Blog von Interesse sein mag.

Biographischer Abriss zu Heinrich Jacoby

Heinrich Jacoby (1889-1964) war bis 1940 deutscher Staatsbürger, lebte aber seit 1933 gezwungenermaßen im Exil in der Schweiz und kam 1955 in den Besitz der Schweizer Staatsbürgerschaft. Sein beruflicher Werdegang begann mit der Aufnahme eines Musikstudiums 1907 in Straßburg. Dort war er von 1908 bis 1913 Schüler in der Kompositions- und Dirigentenklasse von Hans Pfitzner und unter der Direktion desselben seit 1909 auch Kapellmeister und Regievolontär am Straßburger Stadttheater. An der Straßburger Universität besuchte er neben seinem Musikstudium auch Vorlesungen über Philosophie und Psychologie.
Letzterer Fakt mag ein Indiz dafür sein, dass Jacobys Interesse an der Musik schon damals über das Bestreben, Musik zu „machen“, hinausging. Weil er die traditionelle Musikerziehung ablehnte, heißt es (vgl. Ludwig 1984, S.101), wurde er 1913 Lehrer für Harmonie- und Formenlehre an der Lehrerbildungsanstalt Jacques Dalcroze in Dresden-Hellerau. Außerdem arbeitete er an der Einstudierung der dortigen Festspiele mit. Ab 1915 leitete Jacoby die
Lehrerbildung an der „Neuen Schule für angewandten Rhythmus“ in Dresden Hellerau. Seinen Weg als Musikerzieher setzte er fort und beschäftigte sich im selben Zuge mit der Zweckmäßigkeit und den Grenzen einer Sinnesschulung und mit den Ursachen der Entstehung von „Unbegabtheit“ (Jacoby) auf dem Gebiet der Musik. Als Leiter der Musikerziehung an der Odenwaldschule von 1919 bis 1922 untersuchte er Störungen der Ausdrucksfähigkeit durch die
Kleinkinderziehung. 1922 bis 1924 half er beim Aufbau einer höheren Versuchsschule in Dresden-Hellerau. Von Dresden ging er 1928 fort nach Berlin, wohin er als Privatgelehrter schon seit einigen Jahren Beziehungen besaß. In Berlin stellte er die Ergebnisse seiner jahrelangen Untersuchungen Lehrern, Ärzten, Heilpädagogen, Psychotherapeuten und ausübenden Künstlern in eigens dafür gegründeten Arbeitsgemeinschaften vor. Die Erfahrungen auf dem Gebiet des musikalischen Ausdrucks übertrug er auf Probleme des Sprechens, der
Stimme, der Sprache, der Bewegung und der bildnerischen Gestaltung. Ihn beschäftigten Untersuchungen über die Bedeutung von Zustand und Verhalten für die Qualität von Wahrnehmungs-, Ausdrucks- und Gestaltungsvorgängen unter ganzheitlichen Voraussetzungen. Die Situation in Deutschland 1933 zwang Jacoby in die Emigration. Jacoby verlor nahe Familienangehörige im Nationalsozialismus; das Exil war lebensrettend. Seine Arbeit jedoch konnte Jacoby auch in der Schweiz nicht ungehindert fortsetzen. Was er bis dahin an
Ideen und Erkenntnissen gesammelt hatte, durfte er nicht veröffentlichen, weder in der Rede noch im Druck. Möglicherweise ist das der Grund für den Mangel an Beachtung, der Heinrich Jacoby in Standardwerken wie Gruhns „Geschichte der Musikerziehung“ (1993) und Ehrenforths „Geschichte der musikalischen Bildung“ (2005) widerfährt.

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Literaturnachweis:
Ehrenforth, Karl Heinrich (2005) Geschichte der musikalischen Bildung. Mainz.

Gruhn, Wilfried (1993) Geschichte der Musikerziehung. Hofheim.

Ludwig, Sophie (Hg.) (1984) Heinrich Jacoby. Jenseits von „Musikalisch“ und „Unmusikalisch“. Die Befreiung der schöpferischen Kräfte dargestellt am Beispiele der Musik. Hamburg.

Mittwoch, 19. November 2008

Der Maler

Kapitel 1
von Mia Preisel


Es war einmal ein Maler.
Er wohnte in einer Villa, weil
er so berühmt war, und
er hatte drei Diener.
Wie die hießen, wusste keiner.
Der Maler malt so:
Er nahm ein Blatt und schon
war es fertig. Wisst
Ihr auch, warum es so war?
Er war halt ein beson-
derer Maler. Er malte Bakterien.
Alle fanden seine Bilder toll.
Naja, ein Kind nich. Es war ein
Junge. Der fand die Bilder
langweilig. Er fand, der Maler
wäre faul. Oma hatte ihm
ein Bild geschenkt.

aus: Mia Preisel: Der Maler. Erstes Kapitel. S.1, illustriert und kartoniert, unveröffentlicht
Abdruck mit freundlicher Erlaubnis der Autorin