Sonntag, 28. Dezember 2008

Böses Buch

Eine kurze Buchvorstellung

Nun mag ich nicht die Welt in gut und böse einteilen, aber daran liegt Toni und Slade Morrison sicherlich auch nicht, wenn sie in kurzen plakativen Sätzen schreiben, wer böse ist und was und wie. Pascal Lemaître hat die Bilder gemalt, die am Beispiel eines harmlosen weißen Kaninchen veranschaulichen, worum es geht. Die ganz eigene Sicht des Kaninchens ist auf den Seiten dargestellt. Der Leser ist frei, ihm in dieser Sicht zu folgen oder sie abzulehnen, sie zu verstehen oder sich darüber zu empören. Gerade Kinder können den Protagonisten wahrscheinlich sehr wohl verstehen und mögen seine meinung in vielen Dingen teilen.

Das Buch der Bösen gibt es erst seit 2005 in der deutschen Übersetzung von Harry Rowohlt. In den USA und Kanada konnte man schon seit 2002 lesen, dass ErzieherInnen mean sind. Da hieß es The Book Of Mean People.

Interessanter noch als mein Blogeintrag sind die Kundenrezensionen auf amazon.de. So sei das Buch kein Gutes, weil es die Erziehungsversuche der erwachsenen Karnickel an dem harmlosen Kind böse heißt, weil das weiße Kaninchen, was ja noch ein Kind ist, Actionfilme guckt und nicht auf die Mutter hören muss. Und weil es Erwachsene denunziert? Mögen die Erzieher unter uns sich denunziert fühlen und denken, dies sei ein böses Buch. Ich denke, sie haben zu Recht Angst, es ihren Zöglingen vorzulesen.

Slade Morrison & Toni Morrison (2005) Das Buch der Bösen. Düsseldorf.

Samstag, 20. Dezember 2008

Der Jude Jesus - Eine Buchvorstellung

Gastbeitrag von Martin U.

Pinchas Lapide - Ulrich Luz:
Der Jude Jesus

Thesen eines Juden
Antworten eines Christen

Benziger Verlag, Zürich, Einsiedeln, Köln, 4. Auflage 1986

Zu den Autoren:

Pinchas Lapide wurde am 28. November 1922 in Wien geboren. Er war jüdischer Theologe und Religionswissenschaftler. Er verfasste zahlreiche Veröffentlichungen zum christlichen sog. Neuen Testament sowie zum jüdisch-christlichen Dialog und war Gastprofessor an verschiedenen Hochschulen.
"Nach dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland kam er 1938 in ein Konzentrationslager, aus dem er jedoch fliehen konnte. Über die Tschechoslowakei und Polen floh er dann nach Großbritannien. Von dort aus gelangte er 1940 mit einem Schiff nach Palästina."
Nach dem 2. Weltkrieg zog Pinchas Lapide nach Frankfurt am Main, wo er am 23. Oktober 1997 starb.
"Nach seinem Tod setzt seine Witwe Ruth Lapide sein Anliegen fort."

Ulrich Luz wurde am 23. Februar 1938 in Männedorf / Schweiz geboren. Er ist ordentlicher Professor der Theologie an der Universität Bern, hat Gastprofessuren in Rom und Pretoria und verfasste zahlreiche Publikationen. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind das Matthäusevangelium, die Hermeneutik sowie die Religionsgeschichte des Urchristentums.

Zum Inhalt des Buches:

Pinchas Lapide stellt in diesem Buch drei Thesen auf.

1. Jesus hat sich seinem Volk nicht als Messias kundgegeben.
2. Das Volk Israel hat Jesus nicht abgelehnt.
3. Jesus hat sein Volk nie verworfen.

Zur Einführung in das Buch werden hier erst einmal nur die (umfangreiche und inhaltlich wichtige) Einleitung und die erste der drei Thesen Lapides vorgestellt.

"Aus Kleingläubigkeit wurde der Andersgläubige zum Ungläubigen verketzert, ja oft sogar zum Unmenschen verteufelt. Das ist das traurige Fazit der fast zweitausendjährigen Entzweiungsgeschichte von Juden und Christen." So beginnt die Einleitung Lapides. Er fährt fort: "Erst heute dämmert uns allen die biblische Binsenwahrheit, daß Gottes universale Vaterschaft zwangsläufig alle Gläubigen unter ein-und-dieselbe schrankenlose Gnadenliebe stellt, die weder heillose Stiefkinder noch ein Sonderheil für Auserkorene kennen kann.

Dank dieser Einsicht stehen wir heute am Anfang eines Dialogs, den es seinesgleichen noch nie gegeben hat: Das erste unbefangene Glaubensgespräch zwischen den leiblichen Brüdern Jesu und seinen geistigen Jüngern - seit dem Auseinandergehen der Wege von Kirche und Synagoge."

Im weiteren Verlauf der Einleitung wird die judenfeindliche Seite der Kirchengeschichte beschrieben, z.B.: "Nicht weniger als 96 Kirchenkonzilien und 114 Päpste haben Gesetze gegen die Juden erlassen, die Israel verhöhnten, verpönten, enterbten, enteigneten, zu Parias entwürdigten und an den Rand des Untergangs brachten." Erinnert wird auch an den Schrei der Kreuzfahrer: "Taufe oder Tod!" und an andere judenfeindliche Äußerungen, von denen viele von Kirchenvätern und anderen bedeutenden Personen der Kirchengeschichte und -gegenwart stammen. So schreibt zum Beispiel ein Günther Schiwy: "Jesus ist der vom AT verheißene Messias, das auserwählte Volk aber hat ihn abgelehnt, was die heilsgeschichtliche Verwerfung des Volkes zur Folge hat."

Pinchas Lapide: "Der Abbau von schriftwidriger Feindseligkeit und der Aufbau biblischer Nächstenliebe ist das einzige Anliegen des Autors [Lapide, M.U.]. Falls es sich jedoch erweisen sollte, wie hier auf Grund neutestamentlicher Aussagen behauptet wird:
- daß Jesus sich seinem Volk nie als sein Messias offenbart hat;
- daß Israel ihn also nicht als seinen Erlöser anerkennen konnte;
- daß die Mehrheit aller Juden, die Jesus ansprach, ihm einen begeisterten Empfang bereiteten;
- daß von "Judenschuld" an seinem Kreuzestod keine Rede sein kann;
- daß Israel Jesus ebenso wenig ablehnte, wie er nie sein Volk verwarf;
- sondern daß seine ungeteilte Liebe, über den Tod hinaus, seinem Volk galt,
dann kann die christliche Theologie an diesen Tatsachen nicht vorbeischweigen."

Seine 1. These JESUS HAT SICH SEINEM VOLK NICHT ALS MESSIAS KUNDGEGEBEN begründet Pinchas Lapide in mehrfacher Hinsicht. Zuerst umreißt er die vielfältigen Messiasvorstellungen vor und zu Jesu Zeiten, denen Jesus nicht entsprach und die Jesus nicht verwarf ("Kein Jota der Thora wird vergehen...").

Dabei wird die politische oder besser gesagt irdische siegende Funktion deutlich. Der Messias ist einer, "der von Jerusalem aus das endzeitliche Friedensreich auf den ganzen Erdkreis ausbreiten soll. Je tiefer das Elend der Unterdrückung, um so erhabener gestaltet sich die Figur des Heilsbringers, um so energischer pocht die intensive Naherwartung auf seinen Einzug. Dem Glaubenspluralismus des Judentums getreu, entwickelte sich unter dem Druck des Römerjoches eine schillernde Vielfalt von Messiashoffnungen, die jedoch hauptsächlich nicht seiner Person galten, sondern vor allem dem Gottesreich, das er, als gehorsames Werkzeug Gottes, erwirken soll."

Lapide nennt elf entscheidende biblische Merkmale des messianischen Zeitalters, von denen ich hier nur das elfte wiedergeben will: "Das messianische Friedensreich
´Da werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen und die Panther bei den Böcken lagern. Ein kleiner Knabe wird Kälber und junge Löwen und Mastvieh miteinander treiben. Kühe und Bären werden zusammen weiden, dass ihre Jungen beieinander liegen, und Löwen werden Stroh fressen wie die Rinder. Und ein Säugling wird spielen am Loch der Otter, und ein entwöhntes Kind wird seine Hand stecken in die Höhle der Natter. Man wird nirgends Sünde tun noch freveln auf meinem ganzen heiligen Berg; denn die Erde wird voller Kenntnis des Herrn sein, wie das Wasser das Meer bedeckt.` (Jes 11,6-9)"
Es ist klar, dass die Welt dessen noch harrt.

"´Hat also Jesus den traditionellen Messiasbegriff umgeprägt?` fragt Rudolf Bultmann, mit vielen anderen, die eine ´Vergeistigung` dieses Titels befürworten - worauf er antwortet: ´Das könnte nur die Überlieferung lehren. Aber wo zeigt es sich in ihr? Wo findet sich in Jesu Worten Polemik gegen den herkömmlichen Messiasbegriff? Sie findet sich sowenig, wie sich eine Kritik an der jüdischen Vorstellung von der Gottesherrschaft findet.`"

Ein anderer entscheidender Punkt ist folgender: Im Anschluss an fast jede seiner in den Evangelien beschriebenen Krankenheilungen fordert Jesus die Geheilten und die Umstehenden dringend auf, nichts davon weiterzuerzählen. Es gibt keine Bibelstelle, wo Jesus sich in der Öffentlichkeit als Messias bekennt. Der Vorwurf an "die Juden", sie hätten den Messias Jesus nicht anerkannt, ist schon allein daher absurd.

(Was ein eventuelles Bekenntnis nur im Kreis der Jünger betrifft, so wird immer wieder gern das Bekenntnis des Petrus (Mk 8,27-30; Mt 16,13-23; Lk 9,8-22), genannt. Doch dieses ist höchst umstritten. So meint der Theologe R. Bultmann: "Die Szene des Messiasbekenntnisses des Petrus ist eine von Markus in das Leben Jesu zurückprojizierte Ostergeschichte."
Oder Eduard Schweizer: "Da die genaue Ankündigung des Leidens und Auferstehens Jesu (Mk 8,31) unmöglich in dieser Form von Jesus geäußert worden ist - die völlige Ratlosigkeit der Jünger am Karfreitag wäre sonst unbegreiflich - vermuten manche, dass die scharfe Zurückweisung des Petrus (8,32f) historisch gesehen direkt auf den Satz ´Du bist der Messias` gefolgt wäre, so dass Jesus also den Titel völlig abgelehnt hätte.")

Zum Schluss möchte ich noch sagen, dass auch die zweite These DAS VOLK ISRAEL HAT JESUS NICHT ABGELEHNT und die dritte These JESUS HAT SEIN VOLK NIE VERWORFEN mit ihren Begründungen und auch die Antwort des christlichen Theologen Ulrich Luz höchst aufschlussreich und erhellend sind.

M. U.

Sonntag, 14. Dezember 2008

Biber drohen mit Stau

Auch ein Biber braucht Grenzen. Darum siedelt er gerne an Grenzflüssen. Wo nun aber die Grenzen zunehmend durchlässiger geworden sind wie z. B. die polnisch-deutsche, testet der Biber, wie weit er gehen kann.



Hier droht ein Biber, den Grenzfluss zu stauen.

"Der Fluss markiert eine Grenze.", sagt die Grenzbeamtin. "Den Bibern wie unseren Kindern müssen wir das klar machen. Sie brauchen das."

"Früher wurden Jugendliche, die von unserer Patrouille zu später Stunde noch im Grenzbereich angetroffen wurden, rigoros aufgefordert, sich auf den Boden zu legen, damit unsere Grenzposten sie auf Waffen durchsuchen konnten.", plaudert die Beamtin aus dem Nähkästchen. "Mit den Bibern machen wir das heute nicht anders. Wir überraschen sie nachts beim Liebesspiel; dann wird aufgeblendet und die Sache ist vorbei."

Wenn weiter so hart durchgegriffen wird, werden solche Drohgebärden wie die oben dokumentierte bald der Vergangenheit angehören. Die Biber wissen wieder, wo es lang geht. Deutsche Pädagogen hoffen zudem auf einen starken Winter, der es den Bibern einmal so richtig zeigt.

Mittwoch, 10. Dezember 2008

Ernste Musik

Es ist schon ein Graus, wenn Menschen in die Oper getrieben werden wie Vieh. Da wundert es nicht, wenn sie während der Aufführung muh sagen oder wie die Schafe blöken. So drückt das Kreuz der Schulpflicht auch den, der aus eigener Lust und Freude sich in die Oper begeben hat. Die feineren Töne der Pamina dringen nicht mehr bis zu meiner Loge, auch nicht die besonders tiefen des Sarastro. Eine Geräuschkulisse vom Parkett und den billigeren Plätzen in den Rängen dämpft den Zauber der Musik. Und die Viehtreiber springen immer wieder von ihren Sitzen und sprechen bändigend auf einzelne Schulpflichtige ein. Wie uns diese Pflicht doch alle entwürdigt. Sänger und Schauspieler und Orchester müssen tun, als wären sie vom Publikum ungestört, und geben eine Vorstellung ab, die ich gerne weiterempfehle. Mich macht es ganz betroffen, dass Menschen eine Musik, der ich mich selbst mit Freude hingebe, aufgezwungen wird, nur damit sie hinterher davon brechen können. Ich fühle mich nicht anders als im DDR-Staat mit lauter erreichten Zielen: die Deutsche Oper hat ihr Geld; irgendein Säckel der Staatskasse hat sich erleichtert und hinter der roten Zahl den Stempel Bildungsförderung verdient; die Lehrer halten sich zugute, an diesem Tag keinen Frontalunterricht gehalten zu haben und können sich die neuen Synapsen in den Hirnen ihrer Schüler lebhaft vorstellen; der Schüler, später auch: Mensch, hat klassische Musik (und dann auch noch die des Genies Mozarts) am eigenen Leib erfahren - überall darf ein Häkchen gemacht werden. Was da abgeht in der Gesellschaft, mag man sich mal aus der Sicht eines Kindes klarmachen, das freiwillig in der Vorstellung sitzt, ihr von Anfang bis Ende lauscht und von seiner freien Schule extra frei bekommen hat, damit es mit drei Freundinnen die Oper besuchen kann. Der Schulpflicht entkommst du nicht. Auch nicht an einer freien Schule. Auch nicht, wenn du schulfrei hast. Dann findest du nämlich entweder auf dem Spielplatz keine Kinder zum mitspielen oder du triffst die verdonnerten Kinder in der Zauberflöte wieder. Zu Hilfe, zu Hilfe, sonst bin ich verloren. Die drei Damen helfen dir da auch nicht weiter. Das Opernhaus spuckt sein Publikum am Ende erleichtert wieder aus.

Das Märchen von der Zauberflöte wird nur noch drei Male und nicht mehr in diesem Jahr gegeben. Außerdem läuft an der Deutschen Oper Berlin auch Die Zauberflöte als "große Oper in zwei Aufzügen".