Donnerstag, 23. Juli 2009

Learn Nothing Day

Schulen machen viel her, um die Leute glauben zu machen, da, in diesem viereckigen Schulgebäude passiere etwas, werde Wissen gemehrt, werden Menschen gebildet. Sie beziehen große Gebäude und geben sich die Namen berühmter Menschen. Ausgeklügelte Didaktiken, aufwendig zusammengeschusterte Lehrbücher und Arbeitsmaterial, das sich vielfältig gibt, gaukeln Schülernähe (Menschennähe?) vor, denn es gibt ja mehrere Wege des Lernens. Auch die Schule hat inzwischen von visuellen, haptischen und auditiven Typen gehört und kommt ihren Schützlingen entgegen. Nur muss sie darauf bestehen, dass jeglicher Weg durch ihre Pforten führt. Bildung setzt Lernen voraus und Lernen, wird den Menschen hierzulande weisgemacht, ist ein Vorgang, der bei der heutigen Fülle und Komplexität des gesammelten Wissens der Menschheit nicht in freier Natur stattfinden kann, nicht dem Lauf der Dinge überlassen werden sollte, ein Vorgang, der des Antriebs durch andere bedarf, und ein Vorgang, der unweigerlich an Unterrichtung geknüpft ist. Und noch während die Schule die Komplexität und Umfassenheit der Allgemeinbildung beteuert, zwängt sie Lernen und das, was wir darunter verstehen sollen, in eine Dimension. Lernen ist das, was in Schulen geschieht. Lernen ist das, was für Schulen geschieht. Gelernt wird auf ein Ziel hin. In der Regel handelt es sich um Auswendiglernen oder um das Erlernen einzelner abprüfbarer Fähigkeiten.

Sandra Dodd hat den Learn Nothing Day ins Leben gerufen. Den Tag, an dem alle, die ihn feiern, nichts lernen brauchen, sollen, dürfen? Na wenigstens können sie es ja mal versuchen. In diesem Jahr am 24. Juli. Es ist ein Freitag, der zumindest in Brandenburg sowieso in den Ferien liegt.

People learn by playing, thinking and amazing themselves. They learn while they're laughing at something surprising, and they learn while they're wondering "What the heck is this!?" (Sandra Dodd)

Leute lernen, indem sie spielen, denken und sich begeistern. Sie lernen, während sie über etwas Überraschendes lachen, und sie lernen, während sie sich grad wundern, "Was zum Teufel ist das!?"
(meine Übersetzung)

Der Learn Nothing Day ist im Grunde der Feiertag der Unschoolbewegung. Weil man nicht nichts lernen kann und das kann dieser Tag zeigen. Versuche mal, nichts zu lernen. Nichts!

Ich begreife Lernen als ein dem Menschen tief verwurzeltes Bedürfnis und als einen immerwährenden Prozess. Verschultes Lernen macht den Eindruck, der Prozess hätte ein festgesetztes Ende, nähmlich dann, wenn wir uns richtig verhalten, wenn wir nämlich nicht mehr mit h schreiben, wenn wir Schwimmen können und wissen, wie lang der Nil ist. Ein Blick auf Kinder, die (noch) nicht zur Schule gehen zeigt ein ganz anderes Lernen. Beobachtet werden kann nur ein Geschehen, meist das Spiel, und als Ergebnisse können die Forscher eigentlich nur Dinge notieren, die sie selber schon wissen und erwarten. Kann laufen, sieht einen Zusammenhang zwischen Schalter und Deckenbeleuchtung, kennt den Vornamen von Oma. Aber wenn ein Kind uns sagt, es wisse, was das Meer ist, dann weiß ich noch lange nicht, was es selbst vom Meer weiß. Wie ist es dem Meer zum ersten Mal begegnet? Hat es das Wasser bisher nur vom Ufer gesehen oder war es mal so weit auf dem Wasser, dass ringsum kein Land mehr war? Welches Meer hat es gesehen, welchen Strand, ist es geschwommen, hat es Fisch gegessen und Wasser geschluckt? Es gäbe der Fragen noch viel mehr und auch Fragen, die ich gar nicht kenne. Lernen ist einfach viel zu komplex, als dass man es in eine Schule stecken kann. Darum habe ich in der Schule auch ganz andere Dinge gelernt, die in keinster Weise zu dem gehören, was Schule vermitteln will.
Zurück zum Blick auf das Kind.
Spiel ist eine, wenn nicht sogar die zentrale Form des Lernens. Jedes Spiel enthält mindestens eine unbekannte Variable. Eine Variable, die dem Zufall überlassen ist - im Rollenspiel der Willkür der Spieler, im Regelspiel dem Würfel oder dem Geschick der Mitspielerinnen. Mindestens das Ergebnis bleibt offen oder mein Eindruck. Wenn ich Schlitten fahre immer wieder auf der selben Bahn, so nenne ich das auch Spiel, und hier ist es der Nervenkitzel, das Auskosten eines Gefühls, von dem ich mich überraschen lasse. Wenn mich nichts mehr überraschen kann, suche ich mir ein neues Vergnügen, baue den Schlitten um, ändere meine Bahn, wechsle den Schlitten gegen Skier aus. Im Spiel gibt es selten wirkliche Fehler (Bsp. Skiunfall). Dafür aber Möglichkeiten. Ich probiere Möglichkeiten aus, ich probiere mich in Möglichkeiten aus. Ich such die Möglichkeiten. Aus diesem Ausprobieren und nicht Festgelegtsein erwächst Anpassungsfähigkeit. Anpassung ist eine Strategie zum Überleben. Und die Offenheit, die dem Spiel wie dem Lernen eigen ist, lässt neue Möglichkeiten zu, vorher unbekannte Problemlösungen und Veränderung. Menschen überleben in ihrer Umwelt nicht nur, indem sie sich anpassen. Sie verändern auch und machen sich die Dinge passend (Bsp. Hausbau).
Es scheint also wichtig, dass Menschen sich nicht schon früh in ihrem Leben festlegen (lassen) müssen und die Dinge so tun, wie sie sie sie tun. Nämlich unvollkommen.

Hier könnt Ihr feiern und euch im Nichtlernen probieren:
Learn Nothing Day via unerzogen
Sachsen/Anhalt liegt nicht hinter dem Mond

Samstag, 11. Juli 2009

Der Mensch ist des Menschen Plage

Eine Leseempfehlung

Eine Gapperplage - Das ist die Liebe, die uns umbringt. Schrill und orange. Gapper am eigenen Leibe. Aber so weit kommt es noch, von wegen! Das Buch Die furchtbar hartnäckigen Gapper von Frip ist bebilderte Literatur vom Feinsten. Ich schätze, es handelt sich um ein Kinderbuch. Welchen erwachsenen Mensch dürften schon Gapper interessieren. Lest dennoch, Ihr alten Leute! Der Titel führt auf eine falsche Fährte. Im Mittelpunkt steht nicht die problematische Beziehung, die Gapper zu Ziegen haben. Erwachsene Nebenfiguren machen aus dem, was ein lustiges Gapperkinderbuch hätte werden können, eine schlimme Geschichte. Hartnäckig halten sie an ausgebufften Glaubenssätzen fest - alles ist gut, solange es bleibt, wie es war! selber schuld! jeder ist seines eigenen Glückes Schmied und sich selbst der Nächste! -, so hartnäckig dass die Geschichte ein furchtbares Ende in einem Sumpf zu nehmen droht. Die Erwachsenen von Frip haben definitiv problematische Beziehungen zu sich selbst, zueinander und zu Kindern.

Jedes lesende Kind wird Mitleid mit den Kindern von Frip haben, die statt Schulbüchern Gappersäcke schultern müssen. Doch, liebe Kinder, stellt euch vor, was wäre eine Kindheit ohne Gapper!

Buchcover

Unbedingt lesen und mitleiden!

George Saunders (Text) Lane Smith (Illustrationen) (2000) The Very Persistant Gappers Of Frip. New York // dt. von Frank Heibert (2004) Die furchtbar hartnäckigen Gapper von Frip. Berlin