Dienstag, 24. November 2009

Zwiespalt

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Du hattest den Kopf einer Kuh, erinnerst du dich? Mit Eselsohren, so lang, keiner würde die übersehen. Du hocktest traurig auf der nackten Erde. Nackter noch warst du in deiner Haut. Der Kopf war keine Verkleidung. Er saß fest auf deinem Hals. Das wenige Fell, das dich bedeckte, war das in deinem Gesicht. Wie gern hätte ich dich erlöst, und du hättest dich als eines Königs Sohn entpuppt. Oder als der Sohn eines Gottes, der nur des Nachts eine vollkommen menschliche Gestalt annimmt, seiner Liebsten zu Liebe. Die Liebste ist kaum göttlicher als ich. Sie würde dir abwechselnd zu Füßen liegen oder dein Fellgesicht lecken. So wollte sie alle Tage zubringen und nachts bei dir liegen, bei dir in deiner perfekten Gestalt. Aber, Liebster, wir wissen, dass du nicht gottgleich bist und keines Königs Sohn. Von den Füßen bis zum Hals bist du schön anzusehen für mich. Doch solltest du dich der Schicklichkeit halber bedecken. Dein Kopf ist der eines Rindes mit langen Ohren. Sie verraten deine Gefühle. Sie erinnern mich, dass der Hohn der Leute über mich kommen wird, wenn ich bei dir bleibe.
Erinnerst du dich?
Ich sollte mich entscheiden. Das Wohlwollen der Leute wie ihre Gleichgültigkeit oder ihr Hohn und du.
Zum Glück hast du mich aus meinem Alptraum zurückgeholt. Du wusstest, was ich träume, denn du hattest den gleichen Traum. Es hatte ausgesehen, als wollten gleich die Tränen aus deinen Kuhaugen rollen. Aber du wecktest mich. Dich hatte der Weckton des Funkweckers aus den Träumen gerissen. Wir konnten aufstehen wie immer, uns ankleiden für den Tag und unseren gewohnten Dingen nachgehen. War das nicht ein Glück?

Für die Überschrift und wichtige Anregungen danke ich Lisa.
Das Bild Titania erwacht von Johann Heinrich Füssli hat mich zu diesem Text inspiriert. Der Text hat indes nichts damit zu tun, was der Maler auf seinem Bild darstellen wollte.