Sonntag, 27. Februar 2011

Wortfund wegen unerzogen und so

Teil 1

Der Fund

U n p a r e n t i n g. Klingt ähnlich wie unschooling, klingt vollkommen anders als Attatchment Parenting und irgendwie ein bisschen wie unerzogen, wenn ich mir den Fundort genauer ansehe. Und dann wieder auch nicht, gar nicht!

Ich suche gleich noch mal mit einer Suchmaschine (virtuelles Werkzeug im Cyberspace) und muss feststellen, dass ich aller Orten in englischsprachigen Foren und Blogs einen ähnlichen Fund hätte machen können: unparenting.

Manchmal benutzt man ja verschiedene Worte und meint das Gleiche. Oft sind es aber dieselben Worte, mit denen man Verschiedenes meint. Beides läuft aufs Gleiche hinaus, oder?

Für die Übersetzerin Ingrid Müller kommen zwei Übersetzungen in Frage. Nicht-Erziehung und Ent-Elterung. Müller benutzt die Schreibweisen, wie sie hier stehen. Sie entscheidet sich nach genauem Studium des Fundorts, dass mit unparenting die Ent-Elterung gemeint sein müsse. Das Problem an beiden Übersetzungsvorschlägen ist, dass sie selbst auch wieder der Übersetzung bedürfen. Den Begriff Nicht-Erziehung ins Verständnis zu setzen oder den der Ent-Elterung geht doch sicher nicht, ohne einen Grundsatzstreit auszulösen. Das Verständnis der Übersetzerin von ihren eigenen Begriffen ist für mich nicht unerheblich, das dazu geführt hat, die Ent-Elterung der Nicht-Erziehung als angemessenere Übersetzung vorzuziehen.

Der Fundort

Die Ausgrabungsstätte ist ziemlich jung, ein Beitrag aus der Zeitschrift Gestaltkritik, Heft 01/2010, konserviert im online-Archiv derselben Zeitschrift, der Fund selbst lässt sich aber auf ein Mindestalter von 35 Jahren schätzen. Barry Stevens veröffentlichte ihren Artikel, der in der deutschen Übersetzung von Ingrid Müller Ent-Elterung, Reflexionen einer Mutter überschrieben ist, das erste Mal in den USA 1976/77. Sein Erscheinen in Gestaltkritik 2010 ist die erste deutsche Veröffentlichung.

Eigentlich, möchte man meinen, liefert der Fundort die Beschreibung des Fundes gleich mit. So als stieße ein Archäologe auf einen Stein mit der Beschriftung „Faustkeil“. Wobei eine solche Beschriftung ihrerseits Rätsel aufgäbe. Mit dem Zeitschriftartikel verhält es sich sogar ähnlich.

Vom Finden des Ortes

Archäologen suchen in der Regel nach etwas Bestimmten. So auch ich. Ich hatte ganz gezielt im online-Archiv der Zeitschrift Gestaltkritik nach Beiträgen über Erziehung gegraben, nachdem ich von Perls Paradox der Veränderung gelesen hatte. Fritz Salomon Perls (1893-1970) sagt, der Klient in der Gestalttherapie müsse erst der werden, der er ist, um den Schritt der Veränderung gehen zu können. Ausgerechnet der Klient, der in die Therapie gekommen ist, weil er sich verändern möchte. Der sich wahrscheinlich selbst mit Vorwürfen traktiert, weil er es noch nicht geschafft hat, ein Anderer zu werden. Ebenso mag er sich vielleicht geißeln, dass er zu wenig Selbst sei.

"Der Gestalttherapeut verweigert die Rolle des 'Veränderers', weil seine Strategie darin besteht, den Klienten zu ermutigen, ja sogar darauf zu bestehen, daß er sein möge, wie und was er ist." (Beisser) (1)

Ich dachte mir, wenn „die“ Gestalttherapeuten sich auf Perls berufen, müssten sie dann nicht auch Antipädagogen sein?

Ende des 1. Teils, Teil 2 ist schon halb geschrieben und folgt in Bälde

Quellen:

(1)Arnold R. Beisser (1998) Gestalttherapie und das Paradox der Veränderung. In: Gestaltkritik. Heft 01/1998, im online-Archiv abrufbar unter http://www.gestalt.de/beisser_paradox.html

Barry Stevens, dt. Übersetzung von Ingrid Müller (amerikanische Erstveröffentlichung 1976/77, dt. Erstveröffentlichung 2010) Ent-Elterung, Reflexionen einer Mutter. In: Gestaltkritik. Heft 01/2010, im online-Archiv abrufbar unter http://www.gestalt.de/stevens_ent-elterung.html (Stand 02/2011)

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