Freitag, 20. November 2015

Fenster meiner Kindheit

Buchvorstellung: Heide Braasch (2015) Fenster meiner Kindheit. in Lyrik und Prosa. Leipzig

Als Kind habe ich mich im Geschichtenschreiben versucht und in der Jugendzeit war das Gedichteschreiben allabendlich ein Ventil. Ich hab Gefühlen Luft gemacht und meinen Träumen Raum gegeben. Es sind keine Werke daraus entstanden, nichts was eingerahmt gehört, es wäre auch falsch einen Maßstab an meine Zeilen zu legen, der nicht mein eigener ist. Für mich sind meine Gedichte und Geschichten Schnappschüsse, Momentaufnahmen, Langzeitbelichtungen - ich lese heute ein Gedicht von damals und es ist, als sähe ich mich auf einem Foto wieder. Als Zehnjährige, als Sechzehnjährige - . Das Gedicht bezeugt, dass es mich gab, bezeugt mein Erleben, meinen Blick in die Welt. Was in mir vorging, mein Wollen und Fühlen in jener Zeit. Das Gedicht oder der Prosa-Text ist Beweis meiner Lebenskraft. Und während mir bei alten Fotos, die ein Anderer von mir gemacht hat, oft der Kontext abhanden gekommen ist, ist er bei den eigenen Texten und Gedichten fast sofort da. Wie es Zeile für Zeile in mir dämmert, was damals zum Zeitpunkt des Schreibens für mich, mit mir war - das ist spannend.

Das Zauberhafte für mich an dem Buch von Heide Braasch ist, dass beim bloßem Hineinlesen jene Dämmerung in mir anhob. Ich sah die Bilder meiner eigenen Kindheit. Ich spürte eine Verbindung zwischen den Worten eines fremden Kindes und mir.

Verse, Reime, Gedichte, Geschichten, Fragmente von Geschichten unzensiert aus dem Sammelsurium an vollgeschriebenen Heften, Büchern, Schreibblöcken und Zetteln in ein Buch übernommen, Gedichtetes und Erdachtes aus zwölf Lebensjahren, von der Zeit an, als die Autorin des Schreibens mächtig wurde, bis zu dem Tag ihres Auszugs aus dem Elternhaus. Ich lese es mir und ich les es meinen Kindern vor. Sie sind fasziniert und das hat mich erstaunt und gefreut. Es macht solchen Spaß, mit einem von ihnen in den Seiten zu blättern. Ihnen sagen die Gedichte was, eins der Kinder spinnt die Geschichte weiter, ein anderes wird an die eigenen Geschichten erinnert, die es selbst vor Jahren erzählt hat.

Mit den Gedichten und Geschichten ist es wie mit Kinderzeichnungen. Ein Erwachsener kann das nur nachmachen, aber dann siehst du, dass es nur so ist, als ob. Als ob es ein Kind gemalt hätte. Heide Braschs Aufzeichnungen sind echte Kinderzeichnungen in diesem Sinn. Wo sie einfach und konkret sind, sind sie doch nie vereinfacht. Sie wirken nicht künstlich und auch da ungekünstelt, wo die Autorin einen Stil führt. Das Buch macht mit der chronologischen Ordnung der Texte und mit der Einteilung in Abschnitte nach dem Lebensalter der Autorin deutlich, dass es sich um Texte eines Kindes oder einer Jugendlichen handelt. Die Altersangabe ist beim Lesen im Hinterkopf. Für mich spielt das eine Rolle. Für Andere vielleicht nicht und das wäre für mich interessant zu erfahren.

Schreiben und Dichten im Spiel, - als Spiel, - spielend. Diese Assoziation hängt sich bei mir an das junge Alter. Andere in meinem Alter spielen selbstverständlich im Schreiben. Und mir zeigt Heide Brasch, indem sie mit ihrer Veröffentlichung meine Jugenderfahrungen mit dem Schreiben berührt, wenn du schreiben willst, dann tu es, drück dich aus, schreib, was dir von Belang ist zu schreiben, mach einfach, fang an.


Mittwoch, 18. November 2015

Sammelleiden


Sammeln geht verschieden. Je nachdem.

Romanvorstellung Vorstellung einer Kurzgeschichte

Achtung Spoiler

In dem Buch mit dem Titel Sammelleiden geht es um ein fiktives Eichhörnchen, dessen Wege sich abseits der Kiefernäste immer wieder mit denen der Menschen kreuzen. "Der Tag, an dem das Eichörnchen von der Kiefer an die Hauswand sprang [...]" - mit diesem Tag beginnt die unglaubliche Geschichte. Mit einem Satz katapultiert sich ein Eichhorn in die Zivilisation. Es überwindet seine Natur, seine zitterige Eichhörnchenangst, seine Eichhörnchenzitterkrankheit und steigt ins Fenster.

Der Mensch erliegt dem Sammler. Das ahnt der Leser von Anfang an. Als das Eichhörnchen seinen Menschen zum Pilzesammeln in den Wald schickt, habe ich es mir gedacht. Wie das Eichhörnchen sein Zimmer bezieht, verschwinden sämtliche Nüsse in der Wohnung. Zuerst. Dann sammeln sich Glasflaschen, die ohne Pfand. Die sammeln sich ganz von allein an, immer mehr, je länger das Eichhörnchen bleibt. Es übernimmt die Briefmarkensammlung des Gastgebers und betrachtet die Sammeltassen in der Schrankwand mit Interesse. Konsummarken, Pfandgläser und Altpapier - ein Teil davon dürfte der Vergangenheit angehören, in der diese ausgedachte Geschichte spielt. Der Mensch wird ein zweites Mal aus der Wohnung geschickt, hinaus in die Natur. Dort in seiner Verzweiflung fängt er das Dichten an und singt sich hinweg, dem Blues zugeneigt, improvisiert.

Wir haben seine geflickschusterten Eindrücke, die der Mensch in der Natur zu sammeln, viel Zeit gehabt hatte, unten abgedruckt. Bei der Übersetzung sind die Reime, die es rudimentär gegeben hatte, verloren gegangen. Der Inhalt zählt vor allem.



Kastanien. Aber sie glänzen nicht lange.
Und innen haben Kastanien keine Maserung,

sie sind nicht wie Holz.

Das wäre ein schönes Holz
und
ich würde alles daraus bauen, was mir beliebt,
mir
Scheiben von der Kastanie schneiden,
würde sie nur durch und durch so edel sein wie ihr Äußeres.
Aber das
ist leider nur eine Hülle.

Eicheln.

Die Amerikanischen

Eicheln

dick und rundlich.

Eine

lässt sich auf ihrer Spitze drehen und
gibt einen guten Kreisel ab.

Ich kicke
Eicheln gern.


Unversehrte Früchte schießen weit und springen,
in die Quere eines anderen Fußgängers.


Nachts knallen reife Früchte auf Autodächer.

Tags mahlen Autoreifen Eichelmehl.


Licht, buntes ~

Herbstblätter leuchten an trüben wie an sonnigen Tagen.

usw.


Der Wind macht, dass alles
so schön, aber auch
bald wieder
vorbei
ist.

Diese Raupe mag die gruftige Atmosphäre in Bodennähe

Spielzeug

Spielzeug an den verschiedenen Orten in der Wohnung
zeugt von einem Kind, vielleicht,
nicht immer, nicht nur,
in diesem Fall
tut es das. Und ich freue mich darüber, richtig froh bin ich,
dass um mich und neben mir, in meiner Reichweite, meiner
Sphäre jemand spielt. Dinge zum Leben erwecken - das geht
ganz automatisch, das muss er sich nicht vornehmen, so
geht das L eben. Das ist gewöhnlich. Ich habe mich längst
daran gewöhnt, dass sowas um mich herum passiert.
Verblüffend, wie selbstverständlich er das macht. Spielt.
Dann liegt es da, wo auch immer er war und es gemacht hat,
Zusammengestecktes, Gefaltetes, Umwickeltes, Männekieken
mit und ohne Kopf, lange Stöcker, kurze Stöcker, der Tresor
und ein Tiger voll auf der Nase, er macht es ja dauernd. Da
wäre noch viel mehr, denn er hört ja nicht auf, seine Schuhe,
der Ball, der Sand an beidem - heute ist Sturm, da darf er nicht
raus. Bald geht er aber ... und lässt mir Sand hier und den Rest,
dass ich damit spiele. Ist schließlich kein Museum, wo ich lebe.